Österreichische Dystonie Gesellschaft

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Tiefe Hirnstimulation

Chirurgische Behandlungsformen der Dystonie

Die chirurgische Behandlung der Dystonie ist nicht neu. In der medizinischen Literatur werden seit 1950 immer wieder Fälle berichtet, bei denen mittels neurochirurgischer Eingriffe, das heißt Operationen am Gehirn oder Nervensystem, Menschen mit schweren Formen von Dystonie, geholfen werden konnte. Diese kamen immer dann zum Einsatz, wenn herkömmliche Maßnahmen wie Medikamente oder physikalische Therapie, nicht ausreichend erfolgreich waren.

Zielpunkte

Abhängig vom jeweiligen Symptom oder der zugrunde liegenden Krankheit werden unterschiedliche Zielpunkte im Gehirn anvisiert. Alle liegen im Bereich der grauen Substanz, welche sich in der Tiefe des Gehirns befindet. Bei der Dystonie sind es vorwiegend die Basalganglien, und hier speziell der so genannte Globus pallidus internus (Gpi), und der Thalamus, wobei die Bedeutung des letzteren in den vergangenen Jahren etwas nachgelassen hat.

Stereotaktisch-funktionelle Technik

Eine wichtige Rolle in der chirurgischen Behandlung der Dystonie spielen die so genannten stereotaktisch-funktionellen Eingriffe. Die stereotaktische Technik erlaubt Eingriffe in der Tiefe des Gehirns ohne größere Eröffnung des Patientenschädels. Lediglich ein 3-14 mm (je nach Technik) großes Bohrloch ist notwendig um mittels Spezialsonden die wichtigen Schaltzentralen des Gehirns zu erreichen.
Da die Zielstrukturen in der Regel sehr klein sind (wenige Millimeter), setzt die Stereotaxie ein sehr hohes Ausmaß an Präzision voraus. Die Verwendung eines speziellen am Patientenschädel fixierbaren Stereotaxierahmens ist dabei unerlässlich. Vor dem Eingriff erfolgt eine sehr ausführliche Darstellung der Gehirnstrukturen mittels Computer- (CT) und/oder Kernspintomographie (MRI). Die Lage des Zielpunktes in der Tiefe des Gehirns wird im Voraus genau berechnet. Dieser kann dann anhand der berechneten Winkel und Distanzen mit kleinsten Instrumenten erreicht werden. Da durch derartige Operationen gestörte Funktionen des Gehirns sozusagen repariert werden können, bezeichnet man diese Technik auch als funktionelle Neurochirurgie.

Therapieformen

Ablative Verfahren

Die klassische Behandlungsstrategie in der stereotaktischen Neurochirurgie ist das gezielte Ausschalten von Nervenzellen, welche ursächlich an dem Zustandekommen der Symptome beteiligt sind, mittels Erhitzung. Man spricht dabei auch von Ablation, Läsion oder Tomie. Je nach dem wo diese Ausschaltung stattfindet, bezeichnet man sie als Pallidotomie beziehungsweise Thalamotomie. Derartige Ausschaltungen sind irreversibel und können in der Regel nur einseitig durchgeführt werden. Bei beidseitigen Operationen kommt es zu einer
deutlichen Zunahme an möglichen Nebenwirkungen. Die genaue Abschätzung wie viel Hirngewebe auszuschalten ist, ist nicht immer leicht. Wird zu wenig ausgeschaltet, dann ist der Erfolg unter Umständen auf Dauer unzureichend, wird zuviel ausgeschaltet, dann nimmt auch die Gefahr des Eingriffs, speziell was die Komplikationen betrifft, deutlich zu. Aufgrund ihres irreversiblen und wenig steuerbaren Charakters haben die läsionellen Therapieformen in den
vergangenen Jahren an Bedeutung verloren.

Tiefe Hirnstimulation

Bei der tiefen Hirnstimulation (fälschlicherweise auch als Tiefenhirnstimulation bezeichnet) erfolgt die Behandlung ohne Zerstörung des betroffenen Hirnareals. Über feine Drähte (Elektroden), welche mittels stereotaktischer Technik implantiert werden, werden elektrische Impulse an das Nervengewebe abgegeben und dessen Aktivität dadurch gedrosselt. Man spricht dabei auch von Neuromodulation. Diese Behandlung ist jederzeit umkehrbar (reversibel) und erlaubt eine genaue bedarfsgerechte Anpassung der Therapie. Der Strom für die diese Therapie wird von einem implantierbaren Impulsgenerator (fälschlicherweise als Hirnschrittmacher bezeichnet) geliefert. Die tiefe Hirnstimulation welche ursprünglich zur Behandlung von starken Schmerzen entwickelt wurde, wird seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ebenfalls zur Behandlung von Bewegungsstörungen wie der Parkinsonkrankheit und des Zitterns (Tremor) eingesetzt. Mittlerweile hat diese Behandlung bei diesen Krankheiten eine hohe Bedeutung erreicht und ist fix in deren Behandlungskonzept integriert. Sie kommt immer dann zum Einsatz, wenn medikamentöse oder physikalische Maßnahmen nicht mehr ausreichen oder Nebenwirkungen auftreten, welche eine ausreichende medikamentöse Behandlung verhindern. Langzeitstudien über mehr als ein Jahrzehnt zeigen, dass die tiefe Hirnstimulation in ihrer Wirkung stabil ist, das heißt, dass die Patienten die vor Jahren operiert wurden, auch heute
noch einen deutlichen Gewinn von der Stimulation haben. Seit Ende der neunziger Jahre wird die tiefe Hirnstimulation auch erfolgreich zur Behandlung verschiedener Formen der Dystonie eingesetzt.

Operationstechnik

Die Elektrodenimplantation erfolgt bei der Dystonie in der Regel in allgemeiner Narkose. Die Patientenkooperation während des Eingriffs ist, anders als bei Morbus Parkinson oder Tremor, nicht notwendig.
Zunächst wird der stereotaktische Rahmen am Schädel befestigt. Es erfolgen dann verschiedene bildgebende Untersuchungen des Gehirns wie Computer- und/oder Kernspintomographie. Diese dienen dann als Grundlage für die Zielpunktberechnung. Über ein 3 – 14 mm großes Bohrloch werden sodann eine oder mehrere Mikroelektroden vorgeschoben und der gesamte Zielbereich neurophysiologisch exploriert. Dies erlaubt eine noch genauere Definition des Zielpunktes. Während der Operation werden zahlreiche so genannte stereotaktische Röntgenaufnahmen zur Sicherstellung einer optimalen Elektrodenlage durchgeführt. Danach erfolgt der Austausch der Testelektrode gegen eine permanente.Diese besteht aus vier isolierten Drähten, die mit vier
elektrischen Platin-Iridium-Kontakten verbunden sind. Sie hat einen Durchmesser von 1,3 mm. Die Elektrode wird mittels einer speziellen Kappe im Bereich des Bohrlochs fixiert. Je nach Art der Symptome erfolgt der Eingriff ein oder beidseitig. Die Elektroden werden zunächst über spezielle Verlängerungen nach außen geleitet. Damit ist der erste Teil der Behandlung, die Elektrodenimplantation, beendet. Es folgt eine Testphase von wenigen Tagen bei denen über einen externen Impulsgeber stimuliert wird. Es können so Nebenwirkungen ausgeschlossen werden, welche eine ausreichende und therapeutisch wirksame Stimulation verhindern könnten. Im Unterschied zum Einsatz bei Morbus Parkinson und Tremor dauert es in der Regel mehrere Wochen bis die therapeutische Wirkung eindeutig nachgewiesen werden kann. Ein Teil der Patienten berichtet aber auch schon in der Testphase eine subjektive Besserung der Symptome. Außerdem erfolgt
eine kernspintomographische Untersuchung zur Kontrolle der Elektrodenlage. Danach folgt der dritte Teil der Prozedur: die Impulsgeberimplantation. Auch diese Operation erfolgt unter Vollnarkose. Der Impulsgeber besteht aus einem kleinen, versiegelten Titangehäuse (etwa so groß wie zwei Streichholzschachteln) in welchem sich eine Batterie und die Steuerelektronik befinden. Er wird unter dem Schlüsselbein oder dem Rippenbogen im Unterhautfettgewebe eingepflanzt und anschließend mit den unter der Haut liegenden Elektrodenkabeln verbunden. Je nachdem ob ein oder beidseitig implantiert wird, kommen ein oder zweikanalige Generatoren zur Anwendung. Es handelt sich dabei um voll implantierbare Systeme.
Die Lebensdauer der Batterien des Impulsgebers beträgt je nach Höhe der Stimulation etwa zwei bis fünf Jahre. Danach wird das gesamte Gerät getauscht. Dieser Eingriff kann ambulant in lokaler Betäubung durchgeführt werden.

Nachbetreuung

Die Nachbetreuung der Patienten erfolgt in der Regel an dem Zentrum wo das System implantiert wurde. Anders als bei Morbus Parkinson und Tremor dauert es unter Umständen Wochen bis sich die Wirkung der Stimulation voll entfaltet. Die Einstellung der Stimulationsparameter durch den Arzt erfolgt telemetrisch (über Funk) mittels eines speziellen Programmiergerätes. Über eine eigene Programmiereinheit können die Patienten auch selber in einem zu definierendem Rahmen, Einfluss auf die Stimulationshöhe nehmen und den Impulsgeber ein und ausschalten. In der postoperativen Phase ist ein physikalische Betreuung und Behandlung der Patienten sehr wichtig. In den ersten Monaten nach der Operation sind regelmäßig Nachjustierungen der Stimulationsparameter notwendig. Später ist das in der Regel nicht mehr notwendig. Der Effekt bleibt dann konstant.

Nebenwirkungen und Komplikationen

Es gilt Nebenwirkungen und Komplikationen zu unterscheiden. Die Nebenwirkungen sind gekoppelt an die Stimulation und verschwinden sobald diese reduziert oder ausgeschaltet wird. Es können dies leichte Beeinträchtigungen des Sehfeldes, Kribbeln oder Blockaden der Sprache sein. Im Gegensatz dazu stehen die Komplikationen. Diese sind unabhängig von der Stimulation. Die wichtigsten sind Blutungen und Infektionen. Im Vergleich zu anderen Gehirnoperationen sind die Risiken bei einer stereotaktischen Operation jedoch relativ gering. Sie treten bei etwa 1-4 % (die Zahlen können geringfügig von Zentrum zu Zentrum variieren) der operierten Patienten auf. Auch wenn diese Zahlen eher gering erscheinen, so mahnen sie uns dennoch, dass erst alle konservativen Therapieoptionen vor einer stereotaktischen Operation ausgenutzt werden sollten. Technische Probleme, zum Beispiel durch Materialversagen oder Bruch sind ausgesprochen selten.

Ergebnisse

Die tiefe Hirnstimulation zur Behandlung der Dystonie wird erst seit wenigen Jahren durchgeführt. Insofern ist es derzeit nicht möglich umfassende Ergebnisse vorzulegen. Und schon gar keine Langzeitergebnisse. Die Erfahrungen, welche in der medizinischen Literatur berichtet werden, beruhen vorwiegend auf kleinen Fallserien, sind aber viel versprechend. Die besten Ergebnisse wurden bisher bei
der primären generalisierten Dystonie beobachtet. Besonders bei DYT1 positiven Fällen. Speziell Kinder profitieren von dieser Therapie oft dramatisch. Bei sekundären Dystonieformen scheinen die Ergebnisse nicht so gut zu sein, hier ist die Literatur nicht so eindeutig positiv wie
bei den primären Formen. Aber auch hier gibt es positive Berichte. Gute Resultate werden neuerdings auch bei segmentalen und fokalen Dystonieformen berichtet.